suln uns […] uberwinden diu wîp? Macht und Ohnmacht der Frauenfiguren des ,Nibelungenlieds‘ und der ,Kudrun‘
Es gibt einige weibliche Figuren in der Literatur, deren Geschichten den Leserinnen und Lesern im Gedächtnis bleiben. Man denke beispielsweise an Scheherazade aus ,Tausendundeine Nacht‘ oder an Hermine Granger aus ,Harry Potter‘. Einige Frauen agieren in der Öffentlichkeit, andere handeln im Geheimen. Die Gründe dafür, ob, warum und wie sie etwas tun, stehen in einem engen Zusammenhang mit den sozialen, gesellschaftlichen und politischen Gegebenheiten der Zeit, in der das jeweilige Werk entstanden ist. Eine weibliche Figur, die entgegen der Norm agiert, ist in vielerlei Hinsicht interessant, weil ihr Handeln Fragen aufwirft.
Im Rahmen dieser Bachelor-Thesis möchte ich mich mit vier literarischen Frauenfiguren beschäftigen, die aufgrund ihrer Handlungen und Äußerungen für die Forschung von bedeutendem Interesse sind. Es handelt sich dabei um Kriemhild und Brünhild aus dem ,Nibelungenlied‘ sowie um Kudrun und Gerlint aus der ,Kudrun‘. Die Geschichten der Frauen sind im Mittelalter zu verorten (näheres dazu in Kapitel 2.1). In dieser Zeit hatte die Frau sich dem Willen des Ehemannes oder dem des nächsten männlichen Verwandten zu beugen. Begehrenswert wurde sie dadurch, dass sie Kinder gebären und somit die Linie des Mannes fortführen konnte. Im Todesfall der Eltern ging das Erbe aber nicht an die Tochter, sondern nur an den Sohn über.
Berücksichtigt man diese Hintergründe, wird es umso interessanter, sich mit den Handlungen und Äußerungen der vier Frauenfiguren auseinanderzusetzen. Die For-schungsfrage lautet daher: Inwiefern üben Kriemhild, Brünhild, Gerlint und Kudrun Macht aus oder unterliegen der Macht einer anderen Figur? Darunter lassen sich die Fragen subsumieren: Welche Mittel und Wege machen sie sich zu eigen, um im Sinne ihrer Interessen (machtvoll) agieren zu können? Welche von ihnen ist mächtiger? Aber auch: In welcher Situation erfahren sie ,Ohnmacht‘? Wann unterliegen sie folglich der Macht einer anderen Figur? Können sie solche Situationen zu ihrem eigenen Interesse umkehren? Wo liegen die Grenzen weiblicher Macht?