Ein hierarchisches Modell der Anschlussmotivation : Hoffnung auf Anschluss und Furcht vor Zurückweisung und die Selbstregulation durch Zielsetzungen
Bisherige motivationspsychologische Modelle erklären das häufig gefundene Missbefinden Furcht-vor-Zurückweisungsmotivierter (FZM) durch einen stabilen meidenden Regulationsfokus. Sie gehen davon aus, dass FZM Vermeidungsziele setzen, die zwingend negative Konsequenzen für das Befinden und die Zielerfolge haben, während die von den Hoffnung-auf-Anschlussmotivierten (HAM) präferierten Annäherungsziele grundsätzlich mit positiven Folgen verbunden sind.
In dieser Arbeit wird ein hierarchisches Modell der Anschlussmotivation vorgestellt, das sowohl die Annahme einer Kongruenz von Motivrichtung und Zielrichtung ablehnt, als auch die negativen Folgen von Vermeidungszielen in Frage stellt:
Das Motivziel HAM und FZM, warme positive Beziehungen mit anderen Personen herzustellen, ist nicht direkt, sondern nur über konkrete Teilziele zu verwirklichen, deren Erfolg in starkem Ausmaße von den Begebenheiten der spezifischen sozialen Situationen abhängt. Es gibt soziale Situationen, in denen Vermeidungsziele angebracht sind und solche, die Annäherungsziele nahelegen. Eine einseitige annähernde oder vermeidende Zielsetzungsstrategie würde die in komplexen sozialen Situationen erforderliche Handlungsflexibilität erheblich einschränken und so dem übergeordneten Motivziel wenig nützlich sein. Das hierarchische Modell lehnt eine solche dysfunktionale Zielsetzungsstrategie ab und geht statt dessen davon aus, dass Annäherungs- und Vermeidungsziele nützliche Teilzielsetzungen sind, die, wenn sie zu einer Annäherung an das Motivziel führen, mit positivem Befinden und Zielfortschritten verbunden sind. Die Folgen von Annäherungs- und Vermeidungszielen bestimmen sich also nach ihrer Funktionalität für das übergeordnete Motivziel.
Beide Zieltypen werden von HAM und FZM gewählt: Entweder sie entsprechen ihrer Tendenz einer Annäherung bzw. Vermeidung (grundsätzliche Ziele), oder aber sie stellen eine strategisch günstige Möglichkeit auf dem Weg zum Motivziel dar (strategische Ziele). Da beide gleichermaßen im Dienste des Anschlussmotivs stehen, sollten sie auch wie selbstbestimmte Ziele wirken: Selbstbestimmte Ziele richten die Wahrnehmung aus, bestimmen das Verhalten und finden sich in Bewusstseinsinhalten wieder.
Die Unterschiede im Befinden von HAM und FZM werden dadurch erklärt, dass nur bei FZM in sozialen Situationen Furcht entsteht, die die Regulation der Wahrnehmung, des Verhaltens und der Bewusstseinsinhalte im Sinne der Zielsetzung vereitelt.
Die Modellannahmen konnten der empirischen Überprüfung standhalten: Eine erste Untersuchung bestätigte die Annahme einer flexiblen Zielwahl HAM und FZM und replizierte das Missbefinden FZM. In zwei weiteren Untersuchungen wurden mit der Methode der Analyse von Blickfixationen, der Inhaltsanalyse anschlussthematischer Geschichten und der Verhaltensmessung in simulierten Sozialszenarien die erwarteten Unterschiede HAM und FZM gefunden: HAM nutzen Annäherungs- und Vermeidungsziele zur Selbstregulation, d.h. zur Ausrichtung der Wahrnehmung, der Bewusstseinsinhalte und des Verhaltens, FZM gelingt dies aufgrund der auftretenden Furcht nicht.
In einem an die Modellprüfung anschließenden Interventionsteil wird eine Methode vorgestellt und in einer weiteren Untersuchung empirisch überprüft, die das Wohlbefinden Anschlussmotivierter zu verbessern vermochte.